Stralsundische Geschichten – Episoden aus der Schwedenzeit

Stralsund zur Schwedenzeit: Heinrich Alexander Stoll (1910-1977) zeichnet in seinen „Stralsundischen Geschichten“ ein lebendiges Porträt der Hansestadt im Barock. Tragisch die Geschichte von „Maria Flint“, deren Schicksal einst Goethe zur Gretchen-Tragödie inspirierte. Humorvoll berichtet „Die Laternenballade“ vom zähen Ringen der Bürger und des Rates mit dem allmächtigen Militär und der adligen Provinzverwaltung. Und um die Macht der Liebe geht es bei der „Ramstahlschen Hochzeit“. Stimmungsvolle Fotos führen in dieser Neuauflage zu den Originalschauplätzen der Handlung.

Heinrich Alexander Stoll: Stralsundische Geschichten – Episoden aus der Schwedenzeit

Neuauflage November 2021
256 Seiten, zahlreiche s/w Fotos, u. a. von Holger Kummerow
mit einem Nachwort von Burkhard Unterdörfer
Kartoniert, 19 x 12,5 x 1,8 cm
ISBN: 9783941093263

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Bisher war Maria Flints Leben nicht anders verlaufen als
das von Dutzenden von Mädchen ihres Standes. Eine stralsundische
Schusterstochter war sie, allerdings nicht die
eines angesehenen Meisters. Ein kleiner, unbedeutender,
lebenslänglicher Geselle war ihr Vater bloß und von zerbrechlicher
Gesundheit obendrein. Kaum aus der Schule
entlassen, hatte Maria einen Beruf erlernt, wie es sich für
die einzige Tochter eines ehrbaren Handwerkers (wenngleich
nicht hochehrbaren Handwerksmeisters) geziemt,
und zwar den Beruf einer Näherin.
Aber Näherinnen gab es viele in der Stadt. Nicht, dass
Maria, ein anerkannt hübsches Mädchen, hoch hinausgewollt
hätte und es ihr vielleicht auch nicht genügt hätte,
Näherin zu sein. Keineswegs, aber da der Vater seiner Kränklichkeit
halber von seinem letzten Meister vor die Tür
gesetzt und dann mitsamt seiner Frau durch dessen Fürsprache
in das Johanniskloster aufgenommen worden war,
hatte sich das Geld mehr als rar gemacht. Hatte Schuster
Flint nicht brav den Schulschilling für Maria bezahlt, sooft
er fällig gewesen war? Hatte er nicht, mit manchem Stöhnen
und Seufzen, das teure Lehrgeld für sie aufgebracht?
Und war es nun, da der Vater nicht mehr das tägliche Brot,
geschweige denn die tägliche Butter und den Fisch und die
Grütze verdiente – war es nun, sage ich, nicht der Tochter
verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, zu ihrem Teil für
die alten, gebrechlichen Eltern zu sorgen? Du sollst deinen
Vater und deine Mutter ehren, auf dass dir’s wohlgehe und
du lange lebest auf Erden. So heißt es ja doch im vierten
Gebot. Und Doktor Martinus Lutherus seligen Angedenkens
sagt in seinem Kleinen Katechismo dazu: Wir sollen
Gott fürchten und lieben, dass wir unsere Eltern und Herren
nicht erzürnen, sondern sie in Ehren halten, ihnen dienen,
gehorchen, sie lieb und wert halten.
»Hörst du das, Maria? Ihnen dienen und sie lieb und
wert halten! Und was tust du?«
»Aber Vater, du weißt doch: Alles gebe ich euch ab, was
ich verdiene!«
»Papperlapapp, Maria. Weiter im Text des Kleinen
Katechismi! Wie werden die Eltern und Herren verachtet
und erzürnt? Wenn man ihnen die schuldige Ehre und
Gehorsam versagt, ihren Vermahnungen zum Guten kein
Gehör gibt, sie geringschätzig hält – jawohl, Kind, sie geringschätzig
hält …«
»Vater!«
»Rede nicht dagegen, Maria! Rechne lieber einmal
nach, wann deine Mutter zum letzten Male Fleisch
gekocht hat. Von meinem Schnupftabak will ich gar nicht
reden, denn ich weiß schon schier nicht mehr, wie er aussieht.
Jaja, du brauchst gar nicht so tief Atem zu holen,
um Widerworte zu sagen. Ich weiß, dass du von deinem
Verdienst nichts für dich zurückbehältst. Du bist sonst
ein gutes und braves Kind, Maria. Du machst es nicht wie
die Andern, die mit den Schweden scharmutzieren und
ihre Schillinge für Putz und Tand ausgeben und sich dabei
dann ihre Hurentaler verdienen. Nein, Maria, darüber
kann ich weiß Gott nicht klagen. Aber was bringt deine
Näherei schon ein? Sag es selbst, Tochter. Solange ich
noch für Mutter und mich verdiente, war es genug, denn
mit deinem Lohn kamst du für dich selber auf und lagst
uns nicht auf der Tasche. Aber nun? Nun soll es für drei
langen und langt doch nicht hinten und nicht vorn. Und
deshalb sage ich: Du solltest dich nach einem besseren
Verdienst umsehen, Kind.«
»Und den gibt es nicht, Vater, jedenfalls nicht auf ehrenhafte
Art und Weise.«