Altstadt-Gold

Über das Buch: Ines Hübner arbeitet seit den Wendejahren in ihrer Geburtsstadt Stralsund als erfolgreiche Wohnungsverwalterin und Maklerin. Mit Effizienz und Sorgfalt hat es die unauffällige Kauffrau zu einer eigenen Firma auf der Kronlastadie gebracht und gilt als feste Größe in der örtlichen Immobilienbranche. An so jemanden wendet man sich vertrauensvoll, wenn es um das schöne Wohnen in der altehrwürdigen Hansestadt geht. Wenn Geld keine Rolle spielt und man alles gern dienstbaren Geistern anvertraut. Doch verbergen sich gerade hinter den heilsten Fassaden mitunter die tiefsten Abgründe…

Peter Hoffmann
Altstadt-Gold
Ein Stralsund-Krimi
1. Auflage, August 2021
272 Seiten, Paperback, 19 x 12,5 x 1,5 cm
ISBN: 978-3-941093-25-6

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PROLOG:
Das Ende

Edeltraut Dost versuchte, ein Lid zu heben. Es
gelang ihr kaum. Sie blickte durch die mascaraverschmierten
Wimpern auf die im Grunde scheußliche
und geschmacklose samtene Barocktapete, die sie in
ihrer Wut und Verzweiflung mit den bloßen Fingernägeln
zerkratzt hatte. Der einzige Erfolg war, dass
wie zum Hohn darunter bloß das nackte Metall ihres
stählernen Gefängnisses zum Vorschein kam. Sie
hatte ihre Finger in den metallenen Türspalt gekrallt.
Vergebens. Fast alle ihre Nägel hatte sie sich dabei
abgebrochen. Die schönen Nägel, die ihr die stets
freundliche Frau Nguyen vom Nagelstudio in der
Mühlenstraße gerade frisch gemacht hatte. Eine Virtuosin
auf ihrem Gebiet. Und stets so ausgesprochen
freundlich. Bestimmt war die nur wegen des Geldes
freundlich, das sie in regelmäßigen Abständen dort
ließ. Alle waren sie nur freundlich wegen des Geldes.
War die Nagelkünstlerin nun eigentlich Vietnamesin
oder Chinesin? Egal. Wegen des Geldes. Es war alles
immer nur wegen des Geldes.

Edeltraut Dost war völlig entkräftet und dehydiert.
Sie hatte seit Tagen nichts mehr getrunken.
Seit wie viel Tagen? Sie wusste es nicht. Das nutzlose
Handy hatte sie vor Wut so oft gegen die Stahlwände
geworfen, bis es mit zerschmettertem Display
schwieg. Sie hatte geweint, sich die Haare zerrauft, sie
hatte getobt. Am allermeisten ärgerte es sie, dass es
hier nicht nach ihrem Willen ging. Sie hatte hysterisch
gelacht und gekichert. Das kam davon, wenn man auf
andere Leute hörte! Sie hätte dieses verfluchte Ding
nie wieder betreten dürfen. Nun war sie am Ende und
kauerte kraftlos in der Ecke ihres Kerkers. Niemand
war da, der sie bemerken, der sie retten konnte. Es
war vorbei.
Mit der wird es kein gutes Ende nehmen. Hatte
ihre Großmutter schon früh über sie gesagt. Böse
Worte einer bösen alten Frau. Neid und Missgunst.
Und doch. Edeltraut hatte die Anfänge stets mehr geliebt
als die Enden. Und das war jetzt das Ende. Und
ihre Großmutter, die alte Hexe, hatte recht behalten
mit ihrer Prophezeiung.
Edeltraut konnte das Lid nicht mehr offen
halten und wandte ihren Blick nach innen. Sie versuchte,
ihre Großmutter aus ihren Gedanken zu
vertreiben: Die Genugtuung würde sie ihr nicht verschaffen!
Edeltraut, rief sie sich mit letzter Kraft zur
Ordnung, denk an etwas anderes. – Das Erste, was
ihr einfiel war »Der Große Preis« mit Wim Thoelke.
Die ZDF-Sendung hatte sie geliebt. Mit Wum, dem
Hund. Und der Elefant hieß Wendelin. Wim, Wum
und Wendelin. Alles mit W! Edeltraut, denk an etwas
Erhabenes! Reiß dich zusammen. Edeltraut! Ihr Ge9
hirn wollte nicht gehorchen und spielte ihr Streiche.
Gottlieb Wendehals in seinem albernen schwarz-weiß
karierten Sakko hatte stets so einen Gummihahn in
seiner Aktentasche mit dabei gehabt. Polonäse Blankenese.
Wir ziehen los mit ganz großen Schritten …
Das Leben war komisch!