Das Geheimnis der grauen Mönche – Ein Stralsund-Roman

Der Architekt Harald Krohn soll fachmännisch die Frage klären, ob der Kampische Hof in der Stralsunder Altstadt, ein verwunschenes Gebäude-Ensemble aus dem 13. Jahrhundert, in eine internationale Musikschule umgebaut werden kann. Dieser Auftrag führt ihn in ein Netz von Intrigen, das bis in die Zeit vor der Christianisierung der Slawen zurückreicht. Die Stralsunder jedenfalls sind sich einig: Da spukt es!

Katrin und Peter Hoffmann: Das Geheimnis der grauen Mönche – Ein Stralsund-Roman

Erstauflage September 2024

320 Seiten, 11 Zeichnungen, Fotos von Holger Kummerow

Kartoniert, 19 x 12,5 x 2,5 cm

ISBN: 978-3-941093-29-4

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Kapitel 5

»Der Schlüssel ist – was?«
»Der Schlüssel ist momentan nicht auffind-
bar.«
»Herr Großpietsch – Sie machen mich sprach-
los.« Harald konnte seinen Ärger kaum im Zaum hal-
ten. Er rieb sich die Stirn und lauschte ins Handy, ob
sein Gesprächspartner noch etwas hinzufügen würde.
Aber es herrschte Ruhe im Orbit.
»So kann das doch nicht weitergehen. Ihre
Methoden, mich von dem Objekt fernzuhalten, sind
geradezu kindisch. Ich gehe da jetzt mit einer Zange
hin und breche das Vorhängeschloss auf. Mehr ist es
nämlich nicht, was mich am Zutritt hindert«, zeigte
sich der Architekt entschlossen.
»Das wäre Hausfriedensbruch. Sie können
nicht einfach in eine städtische Immobilie rein-
marschieren und da rummachen«, meinte sein Ge-
sprächspartner Marvin Großpietsch mit nervtötender
Gelassenheit.
»So, jetzt reicht es: Ich möchte sofort Ihre Vor-
gesetzte sprechen.«
»Frau Russow sitzt in einem Meeting.«
»Und das geht bis wann?«
»Darüber kann ich keine Auskunft erteilen.«
»Sie brauchen ja bloß die Sekretärin zu fragen,
wann Frau Russow den nächsten Termin hat. Dazwi-
schen wird sie ja wohl mal rauskommen aus ihren
Meetings.«
»Ich bin nicht die Sekretärin von Frau Rus-
sow. Ich bin der Abteilungsleiter Denkmalpflege, ge-
gen den Sie sich hier deutlich im Ton vergreifen, Herr
Dr. Krohn!«
»Hören Sie, Sie vertrösten mich jetzt schon
das dritte Mal wegen des Kampischen Hofes. Es geht
nur um eine oberflächliche Besichtigung. Mein Auf-
traggeber erwartet zeitnah Ergebnisse.«
»Ich kenne Ihre Situation und ich weiß, was
Sie im Kampischen Hof vorhaben. Aber das ändert
nichts am Ergebnis: Der Schlüssel ist nicht aufzufin-
den. Wir müssen erst einen Schlosser beauftragen, der
das alte Schloss entfernt und ein neues davorhängt.
Und dann können Sie sich wieder um einen Besich-
tigungstermin bemühen.«
»Und wie lange soll das dauern?«
»Keine Ahnung. Sie wissen selbst, wie schwie-
rig es ist, in diesen Zeiten einen vernünftigen Schlos-
ser zu finden. Ich habe mir für nächste Woche notiert,
einen entsprechenden Reparaturantrag auszufüllen
und an das Zentrale Gebäudemanagement zu senden.«
»Sie wollen mich doch verarschen!«
»Nicht in diesem Ton, Herr Dr. Krohn! Ich
bleibe Ihnen gegenüber ja auch sachlich!«
»Nennen Sie es sachlich, dass Sie mich mit
allen Mitteln vom Kampischen Hof fernhalten wol-
len? Da steckt doch Methode dahinter«, ging Harald
erneut in die Offensive.
»Ich verbitte mir solche Unterstellungen. Sie
werden ja wohl einsehen, dass wir da ein bautech-
nisches Kleinod der hansischen Stadtgeschichte be-
hüten. Die Untere Denkmalbehörde hat eine Obhuts-
pflicht gegenüber dem Kampischen Hof. Da kann
nicht einfach jeder … herein.« Großpietsch war einen
winzigen Moment ins Stottern geraten.
»Jeder dahergelaufene Architekt, wollten Sie
wohl sagen. Ich bin aber nicht irgendein dahergelau-
fener Architekt. Ich bin auf Denkmalsanierung und
Projektentwicklung in historischer Bausubstanz spe-
zialisiert. Und ich habe mir bereits Verdienste erwor-
ben um die Denkmale dieser Stadt. Auch wenn das
vielleicht vor Ihrer Zeit gewesen ist, Herr Amtsleiter.«
Wieder nur Stille am Apparat.
»Hallo, stecken Sie im Funkloch?«, forderte
Harald seinen Gesprächspartner zu einer Antwort
heraus.
»Wir wissen, dass Sie mehrere Projekte im
Auftrag der Hansestadt Stralsund übernommen und
zu einem vernünftigen Abschluss gebracht haben.
Aber das war, wie Sie bereits richtig bemerkten, deut-
lich vor meiner Amtszeit.«
Arrogantes Arschloch, dachte Harald verbit-
tert. Dann atmete er tief durch und formulierte sorg-
sam: »Erst mal können ›wir‹ das gar nicht ermessen,
was für eine Aufbauarbeit nach der Wende in dieser
ruinösen Altstadt geleistet wurde, denn Sie waren
damals noch gar nicht im öffentlichen Dienst tätig.
Und zweitens werde ich jetzt eine Dienstaufsichts-
beschwerde formulieren, weil Sie mir ganz augenschein-
lich den Zutritt zum Kampischen Hof verwehren, meine
Arbeit für den Verein ›Mare Balticum‹ mithin gezielt
boykottieren. Aus welchen Gründen auch immer.«
»Ich boykottiere gar nichts. Schon wieder so
eine justitiable Anschuldigung von Ihnen. Selbstver-
ständlich können Sie im Auftrag von ›Mare Balticum‹
tätig werden. Alle Unterlagen liegen vor, im Bauamt,
im Stadtarchiv, was Sie wollen. Es gibt Aufmaße und
bauhistorische Untersuchungen die Menge. Können
Sie aaaaaalles nutzen.«
Die Herablassung, mit der dieses Jüngelchen
ihn abkanzelte, trieb den sonst so ausgeglichenen Ar-
chitekten zur Weißglut: »Sie wissen so gut wie ich,
dass man ein Konzept für ein solches Projekt nicht
vom Papier entwickeln kann. Da muss man schon mal
selber hinschauen und durchgehen. Und genau das
verweigern Sie mir seit zwei Wochen!«
»Ich boykottiere nichts und ich verweige-
re auch gar nichts, Herr Dr. Krohn. Ich habe Sie nur
informiert, dass der Schlüssel unauffindbar ist. Für
Ihre Ortsbegehung müssen Sie also noch etwas Ge-
duld aufbringen. Vielleicht beschäftigen Sie sich in
der Zwischenzeit doch schon mal mit den Akten, die
diverse Vorgänger Ihrer Zunft angehäuft haben. Sie
sind schließlich nicht der Erste, der sich mit dem
Kampischen Hof befasst.«
Harald resignierte. »Rufen Sie mich denn an,
wenn der Schlosser da war und Sie in Ihr Objekt wie-
der reinkommen?«
»Das kann ich nicht versprechen. Wir haben
hier sehr viel zu tun in der Unteren Denkmalbehörde.
Wir sind schließlich nur noch zweieinhalb Stellen für
mehr als 300 schutzwürdige Objekte. Und einer der
Kollegen ist noch sechs Wochen in Vaterschaftsur-
laub. Vielleicht melden Sie sich in zwei, drei Wochen
mal wieder bei mir? Bis dahin: Frohes Schaffen, Herr
Dr. Krohn.«
Harald öffnete den Mund zu einer weiteren
scharfen Erwiderung, aber die Stille in seinem Handy
war jetzt eindeutig. Trotzdem starrte er ungläubig auf
das Display. Der Kerl hatte tatsächlich aufgelegt. Auf-
gelegt! Es war nicht zu fassen.
Offenbar hatte es wohl gar keinen Sinn, mit
diesem Amtsleiterlein zu verhandeln. Beim ersten ver-
einbarten Termin ließ der junge Schnösel ihn einfach
vor dem Tor stehen und kam gar nicht. Als Harald
deswegen im Amt nachfragte, hieß es, »dem Marvin«
sei etwas Dringendes dazwischengekommen. Eine
Notsicherung an einem einsturzgefährdeten Objekt.
Welches, wollte man ihm im Amt nicht sagen. Harald
wäre sonst kurz mal hingelaufen und hätte seinen
fachlichen Rat angeboten, was in einer kleinen Stadt
wie Stralsund ja kein großer Aufwand gewesen wäre.
Aber das war wohl nicht erwünscht.
Dann hatte es ihn erneut mehrere Tage gekos-
tet, einen neuen Termin zu vereinbaren. Und den
hatte der Herr Amtsleiter dann fünf Minuten vor der
Angst selbst abgesagt, weil der OB eine dringende
Beratung einberufen habe, bei der er anwesend sein
müsse. Und Harald solle doch gelegentlich wieder
anrufen, dann werde man einen anderen Termin an-
beraumen. Das hatte Harald getan, mehrmals täglich,
auch Emails geschrieben. Aber der Typ ließ das Tele-
fon einfach klingeln, beantwortete nichts. Schließlich
war Harald ins Bauamt gerannt und hatte den Amts-
leiter in der Kaffeeküche gestellt. Selig plaudernd mit
einer jungen Dame, die dem Alter nach höchstens
Schülerpraktikantin sein konnte. Nur widerwillig
hatte sich Großpietsch von diesem Mädchen weg und
hin zu seinem Schreibtisch bewegen lassen, um end-
lich den dritten Besichtigungstermin zu notieren. Sa-
bine hatte schon gefeixt: Siehst du? Verhext das Gan-
ze! Harald fand das inzwischen nicht mehr komisch.
Jetzt hatte er schon wieder eine Viertelstunde vor dem
verschlossenen Hoftor gestanden, ehe er erbost nach
dem ausbleibenden Amtsleiter telefoniert hatte. Was
ihm neben der Lüge vom verlorenen Schlüssel die
sichere Erkenntnis eingebracht hatte, dass die Untere
Denkmalschutzbehörde mauerte. Und zwar massiv.
Die wollten ihn da einfach nicht reinlassen.
Harald musste sich irgendwie beruhigen. Er
wechselte auf die andere Seite der Mühlenstraße und
ließ seinen Blick an der Straßenfront des Kampischen
Hofes entlangschweifen. Eine dreiflügelige Anlage mit
Mauerabschluss und zwei Tordurchlässen an der Stra-
ßenfront umrahmte einen geräumigen Hof. Harald
Krohn fasste gedanklich zusammen, was er sah und
bereits wusste: Der Nord- und der Südflügel stamm-
ten im Kern noch aus dem 13. Jahrhundert. Der Süd-
flügel ein imposanter, viergeschossiger Speicher, ge-
radezu archaisch mit seinen mächtigen Mauern und
kleinen Rundbogenfenstern. Da ging was rein, vor
allem Getreide. Hatte aber immer noch nicht gereicht,
denn das Dach hatte noch mal einen Fachwerk-Auf-
bau obendrauf gekriegt. Dürften die Schweden gewe-
sen sein, schätzte der Architekt und wandte den Blick
dann nach rechts: Etwas schlanker und nur zwei Ge-
schosse hoch stand gegenüberliegend der Nordflügel.
Ebenerdig Wirtschaftsräume, vermutlich ein Pferde-
stall, eventuell eine kleine Schmiede. In moderneren
Zeiten ganz sicher eine Garage, da passten auch kleine
Laster rein. Darüber Zimmer, zu erreichen über eine
hölzerne Außentreppe. Denn der Kampische Hof war
nicht nur Vorratslager, sondern auch Übernachtungs-
stätte für die Mönche gewesen, wenn sie in der Stadt
etwas zu erledigen hatten. Die Backsteinfassade des
südlichen Traktes wies einen etwas jüngeren Stil auf.
Irgendwem hatten da im 17. Jahrhundert die schlich-
ten Formen nicht mehr genügt.
Nun wandte Harald sich dem mittleren Bau-
werk des Ensembles zu, das ganz anders war als die
beiden Seitenflügel: helle Putzfassade, zweigeschos-
sig, repräsentativer Eingang – eindeutig Barock. Hier
wurde also auch richtig residiert, nachdem die Re-
formation die Mönche auch um ihren Stralsunder
Handelshof gebracht hatte. Ob nun ein schwedischer
Adeliger, der in der neuen pommerschen Provinz sein
Heil suchte oder einer der Stadtoberen, das musste
man noch mal rauskriegen. Aber er war kein Histo-
riker, da gab es sicherlich sachkundigere Leute hier-
zulande. Ihn interessierte vielmehr die Zukunft dieses
bald 800 Jahre alten Gebäudekomplexes.
Trotzdem gab sich Harald einen Moment sei-
nen Gedanken hin und versuchte sich zurückzuver-
setzen in die Zeit, als diese stille Gasse ganz sicher
ein sehr geschäftiger Ort gewesen war. Denn nicht nur
die Zisterzienser von Neuenkamp, das heute Franz-
burg hieß, bauten hier einen Handelshof. Auch das
Hiddenseer Kloster, ein Ableger von Neuenkamp,
unterhielt gleich in der Nachbarschaft eine eigene
Niederlassung, nur ein Stückchen weiter Richtung
Hospitaler Tor. Und auch Kloster Eldena hatte einen
solchen Wirtschaftshof in Stralsund. Stand alles nicht
mehr. Aber egal: Hier muss ein reges Kommen und
Gehen gewesen sein. Fuhrwerk auf Fuhrwerk rein in
den Hof, ausladen, auf die Speicherböden verteilen.
Die Knechte in einer Küche verköstigen, die Pferde
versorgen, die Wagen richten. Die Mönche erledigen
derweil andere Dinge, tragen Briefe hin und her, ver-
handeln Verträge, klären Angelegenheiten. Was auch
immer Klosterbrüder in der Stadt so tun. Vielleicht
brauten sie hier ihr eigenes Bier? Ganz sicher hatten
sie auch ein paar Fässer Wein im Keller. Sieben Fässer
Wein, können manchmal die Rettung sein. Und wer ist
dann abends schon gern allein …