Gelungene Lesung im Löwenschen Saal

Eugen Ruge begeisterte am 30. Juni 2023 rund 130 Zuhörer bei seiner ersten Lesung in Stralsund. Im Löwenschen Saal, dem Schmuckstück des Stralsunder Rathauses, las er drei Auszüge aus seinem neuesten Roman „Pompeji oder die fünf Reden des Jowna“. Zwischendurch ging er auf Fragen aus dem Publikum ein, die sich unter anderem mit den Parallelen seines historischen Romans mit heutigen politischen Verhältnissen drehten.

Die Stadtbibliothek Stralsund und der STRANDLÄUFER Verlag als gemeinsame Veranstalter der Lesung bedanken sich an dieser Stelle noch einmal herzlich bei Eugen Ruge, dass er den Weg nach Stralsund gefunden hat. Obwohl er die Sommermonate in seinem Haus auf der Insel Rügen verbringt, war es sein erstes Gastspiel in der Hansestadt. Wie es dazu kam, erfuhr STRANDLÄUFER-Autorin Katrin Hoffmann in einem kurzen Interview mit dem Schriftsteller:

Lieber Herr Ruge, Sie wohnen eine Hälfte des Jahres in Berlin und eine Hälfte auf Rügen. Wie hat es Sie auf die Insel verschlagen? Haben Sie dort Wurzeln?

Der Name Ruge deutet ja schon darauf hin, und ich habe es auch in meinem Roman „Follower“ beschrieben: Der erste Vorfahr, den unsere Familienforschung ausfindig machen konnte, war ein gewisser Claus Ruge, wahrscheinlich Leibeigener, der 1628 von Rügen nach Stralsund floh. Vier Generationen später ging ein gewisser Christian Arnold Ruge zurück auf die Insel. Das ist mein Urururgroßvater. Er wird zunächst Verwalter der pommerschen Güter des schwedischen Grafen Brahe, so auch des Schlosses Spyker. Später pachtet er das Gut Bisdamitz. Sein Sohn Ludwig bringt es in Berlin als Arzt zum Professor und Medizinalrat. Aber auch er kehrt nach Rügen zurück, indem er sich in der Nähe von Bisdamitz, direkt an der Tromper Wiek, ein Haus erbaut. Daraus entsteht die kleine Ortschaft Rugeshus, die inzwischen Nardevitz eingemeindet ist. Kurz: Ja, ich habe Wurzeln auf Rügen.

Soviel wir wissen, ist Ihre Lesung am 30. Juni in Stralsund die erste mit dem neuen Roman in ganz Norddeutschland. Haben Sie schon einmal in der Hansestadt gastiert? Was verbinden Sie mit Stralsund?

Claus Ruge war Kirchendiener an der Nicolaikirche Stralsund. Sein Sohn Matthäus ebenfalls. Dessen Nachfahren haben in Stralsund gelebt, bis Christian Arnold zurück nach Rügen ging. Mein Ururgroßvater Ludwig, der Medizinalrat, ging immerhin noch in Stralsund ans Gymnasium. Auch darüber schreibe ich im „Follower“. Aber Stralsund ist eben auch das Tor zur Insel, ich bin hunderte Mal dort gewesen. Die Stadt ist einfach auch schön, eine kühle nordische Schönheit. Sie duftet nach Meer. Als Segler kenne ich Stralsund auch von der Wasserseite. Trotzdem habe ich noch nie hier gelesen, eigentlich ein Skandal.

In „Pompeji oder die fünf Reden des Jowna“ entführen Sie Ihre Leser in die Antike. Warum? Stralsund, zum Beispiel, hat auch eine interessante Geschichte. Immerhin waren wir die einzige Stadt, die Wallenstein im Dreißigjährigen Krieg nicht erobern konnte …

Genau, deswegen kam Claus Ruge ja nach Stralsund. Er floh vor den Wallensteinschen Truppen. Das hat ihm wahrscheinlich das Leben gerettet, und mir also auch. Ich verdanke Stralsund also mein Leben! Dass ich trotzdem über Pompeji schreibe, ist natürlich undankbar, aber so sind die Schriftsteller: untreu und sensationsgierig. Aber im Ernst: Pompeji hat mich schon immer interessiert, seit meine Oma Charlotte mir davon erzählte. Und seit ich von den Toten hörte, die man dort in ihren Häusern gefunden hat, habe ich mich natürlich gefragt: Warum sind sie nicht weggelaufen? Hatten sie eine Chance? Wenn man das weiterdenkt oder weiterspinnt, könnte man sich auch fragen: Was, wenn sie gewusst oder geahnt hätten, dass sie auf einem Vulkan leben? Die Landschaft ist ja eindeutig vulkanisch, es gibt Bimsstein, Schwefeldämpfe, es gab ein großes Erdbeben, das eine Warnung hätte sein können usw. Wenn man das voraussetzt, dann wird die Frage, warum sind sie nicht weggelaufen, noch dringlicher. Damit beschäftige ich mich in meinem Roman: Wie passiert es, dass die Menschen von der Bedrohung wissen und doch nichts dagegen tun? Angesichts der vielen Bedrohungen, denen wir heute ausgesetzt sind, ist das, finde ich, ein lohnendes Thema.

Für „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ wurden Sie 2011 mit dem Deutschen Buchpreis geehrt. Auch „Metropol“ erntete 2019 viel positive Kritik. Wie sind Sie bisher mit der Resonanz auf Ihr neuestes Buch zufrieden?

Eigentlich sehr. Es gab Besprechungen in fast allen großen und in fast allen kleinen Zeitungen. Das Buch stieg in die Bestellerliste auf. Und abgesehen von zwei oder drei Kritikern, die sich allen Ernstes fragten, wieso da jemand über Pompeji schreibt, wenn er doch die Gegenwart meint, haben das Buch eigentlich alle richtig verstanden. Ich benutze die Vergangenheit als Spiegel, als Modell. Es ist unglaublich lehrreich und unglaublich komisch, sich in den fernen Zeiten wiederzuentdecken. Es ist ein ganz bestimmter Effekt, der sich nur so, über den Umweg einer solchen Verfremdung, herstellen lässt. Aber diese Erfahrung müssen die Leser und Leserinnen selber machen.

Fast ausverkauft: Zum ersten Mal luden die Stadtbibliothek Stralsund und der STRANDLÄUFER Verlag zu einer gemeinsamen Veranstaltung in den Löwenschen Saal. Foto: P. Hoffmann

Geduldig erfüllte Eugen Ruge nach der Veranstaltung alle Autogrammwünsche. Den Buchverkauf übernahmen Stralsunder Gymnasiasten. Foto: P. Hoffmann